Das einsatztaktische Vorgehen nach Gebäudeschäden- und einstürzen stellt eine besondere Situation und Herausforderung für Einsatzkräfte dar. Einsatzbeispiele wie die Gasexplosion im Dortmunder Stadtteil Hörde im Jahr 2017 oder auch der Einsturz des Aquariums „AquaDom“ in Berlin (2022) unterstreichen die Komplexität von derartigen Lagen. Der nachfolgende Beitrag greift die Einsatztaktik der „Fünf Phasen der Bergung und Rettung“ auf und geht im Speziellen auf die Phase I „Erkunden“ und Phase II „Absuchen“ ein, um Einsatzkräften Handlungssicherheit in Einsatzlagen nach Gebäudeeinstürzen zu geben.

Die „Fünf Phasen der Rettung und Bergung“ wurden unter dem Aspekt einer Großschadenslage im Zivilschutz entwickelt und in der ehemaligen Katastrophenschutz-Dienstvorschrift (KatS-DV) 200 „Der Bergungszug“ von 1989 niedergeschrieben. Die einzelnen Phasen sind dabei:

  1. Erkunden
  2. Absuchen
  3. Durchforschen
  4. Eindringen
  5. Beräumen

Das Phasenmodell dient als Anhaltspunkt für einen möglichen Ablauf von Rettungs- und Befreiungsmaßnahmen nach Gebäudeeinstürzen. Allgegenwärtig ist dabei der Grundsatz sämtliche Maßnahmen „vom Leichten zum Schwierigen“ aufzubauen1. In der Ausbildung und Taktik des Technischen Hilfswerk (THW) findet dieses Phasenmodell so immer noch Anwendung.

Die Feuerwehren nutzen ein leicht abgewandeltes Phasenmodell: Durch die Richtlinie 03/01 der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) „Hinweise für Maßnahmen der Feuerwehr und anderer Hilfskräfte nach Gebäudeeinstürzen“ erfolgt der Einsatz nach Gebäudeeinstürzen in folgenden Schritten. Dabei sind die wesentlichen Unterschiede zum THW-Modell in Fett gekennzeichnet:

  1. Erkundung und Sicherung
  2. Durchsuchen und leichte Rettung
  3. Ortung und technische Rettung
  4. Gezieltes Vordringen zu vermuteten Personen
  5. Abschließende Maßnahmen2

Erfahrungen im Bereich der Ausbildung von THW-Einsatzkräften zeigen auf, dass gerade das Phasenmodell des THW als nicht intuitiv wahrgenommen wird und sich anhand der vorgenommenen Bezeichnungen nicht die Abgrenzungen zwischen den einzelnen Phasen unterscheiden lassen. Dahingegen wird das durch die vfdb empfohlene Schema als verständlicher empfunden. Auch wenn die jeweiligen Modelle bezüglich der einzelnen Maßnahmen als ähnlich erscheinen, so haben sie hinsichtlich des Szenarios doch unterschiedliche Ursprünge. Das Phasenmodell des THW basiert auf einem angenommenen Großschadensereignis im Rahmen einer Zivilschutzlage. Die vfdb beschreibt dagegen einen „Standardeinsatz“ : In Folge eines zu Beginn des Einsatzes unklaren Ursache kommt es zu einem Komplett- oder Teileinsturz eines mehrgeschossigen Wohngebäudes in Massivbauweise. Das Gebäude ist mit Gas, Wasser und Elektrizität versorgt. In dem Gebäude selbst aber auch um das Gebäude herum befindet sich eine unbekannte Anzahl von Personen3. Wesentlicher Unterschied zum gedachten Szenario im THW-Modell ist, dass ein einzelnes Gebäude betroffen ist und keine großflächige infrastrukturelle Zerstörung vorliegt. Somit kann auch ein erheblicher Kräfte- und Materialeinsatz für das Szenario im Rahmen der vfdb-Richtlinie eingesetzt werden. Dabei stammen die eingesetzten Kräfte von verschiedenen Organisationen wie der Feuerwehr, der Polizei, dem Rettungsdienst, dem THW, der Verwaltung, von Energieversorgern oder Infrastrukturunternehmen. Gleichzeitig erfordert eine solche Lage auch Expert:innen wie Baufachberater:innen oder Statiker:innen sowie Rettungshundestaffeln.

Gebäudeeinstürze stellen anspruchsvolle und komplexe Einsatzlagen dar: Fachberater unterstützen und beraten die Einsatzleitung nach einem Gebäudeeinsturz in Folge einer Gasexplosion in Rettenbach (BY) im Jahr 2019 (Foto: Irakli West)

Wie bei anderen Lagen auch, kommt der Erkundung besondere Bedeutung für die weitere Einsatzplanung zu. Die Erkundung dient der Lagefeststellung4 und soll dazu führen die „eigene Lage“, die „kalte Lage“ (Allgemeine Lage) und die „heiße Lage“ (Gefahren- bzw. Schadenslage) zu definieren. Diese Unterscheidung macht insbesondere bei der sehr außergewöhnlichen und komplexen Lage eines Gebäudeeinsturzes Sinn. Die allgemeine Lage („kalte Lage“) umfasst dabei folgende Aspekte:

  • Bebauung (Dichte, Art und Nutzung)
  • Beschaffenheit des Geländes bzw. des Gebäudes
  • Wetter
  • Zeit (Tag oder Nacht, Winter oder Sommer, Arbeitszeit oder Feiertag)
  • Verkehrslage (Straße, Schiene, Luft, Verkehr)

Die „heiße Lage“ soll insbesondere ein Bild über mögliche Gefahren sowie deren mögliche Reduzierung oder Vermeidung schaffen. In der Phase der Erkundung können auch bereits erste Sicherungsmaßnahmen erfolgen. Dabei gilt der Grundsatz die Lage mit möglichst gefährdungsarmen Maßnahmen „einzufrieren“ und in eine annähernd statische Lage zu überführen. Dazu ist es erforderlich den Brandschutz sicherzustellen und den Gefahrenbereich abzusperren. Der Gefahrenbereich legt dabei den Bereich fest, in welchem sich nur Einsatzkräfte mit besonderer und angepasster Schutzausstattung befinden sollen. Zur weiteren Sicherung soll der Verkehr geregelt werden (Aufgabe der Polizei). Die ersteintreffenden Einsatzkräfte müssen taktische Überlegungen anstellen, wie die Anfahrt zur Schadenstelle und die Aufstellung der Fahrzeuge zu erfolgen hat. Gerade bei großflächigen Trümmerstrukturen kann die Ausladung von Hubrettungs- und Kranfahrzeugen schnell ihr technisches Limit erreichen.

Im Wesentlichen sind hier mögliche Erschütterungen durch Straßen-, Schienen- oder Luftverkehr zu vermeiden. Der Erkundung und Regelung von Ver- und Entsorgungsleitungen (Gas / Wasser / Strom) kommt ebenfalls eine besondere Bedeutung bei, um der Einsatzlage die Dynamik zu nehmen. In der Erkundungsphase ist besonders auf den Eigenschutz zu achten. Initial werden die eigentlichen Trümmer nicht betreten. Zudem ist besonders auf den Trümmerschatten zu achten. Der Trümmerschatten ist der Bereich, in dem bei weiterem Einsturz des Gebäudes definitiv mit dem Einschlag von Trümmerteilen zu rechnen ist und beträgt klassischerweise das 1,5-fache der Gebäudehöhe. Insbesondere während der Erkundung / Sicherung aber auch während des gesamten Einsatzes sind fortlaufend Ex- und Ox-Messungen durchzuführen. Ausbildungen im THW zu dem taktischen Vorgehen nach Gebäudeeinstürzen haben gezeigt, dass es absolut sinnvoll ist, dem Gefahrenmerkschema bzw. Gefahrenmatrix während der Erkundung eine besondere Bedeutung zukommen zu lassen und die einzelnen Gefahren dezidiert abzuprüfen.

Das THW nutzt das Gefahrenmerkschema 5A – B – C – D – 5E, das von der bei den Feuerwehren genutzten Gefahrenmatrix abweicht:

  • Atemgifte
  • Angstreaktion / Panik
  • Ausbreitung
  • Absturz
  • Atomare Gefahren
  • Brand
  • Chemische Gefahren
  • Durchbruch
  • Elektrizität
  • Einsturz
  • Explosion
  • Erkrankung / Verletzung
  • Ertrinken

Zur Eigensicherung ist zu empfehlen bereits während der Erkundung im Rahmen der Einsatzplanung einen Sammelraum („Safe Zone“) sowie ein Rückzugssignal festzulegen. Vorgaben zu diesem Signal bestehen im nationalen Rahmen nicht. Internationale USAR -Teams („Urban Search and Rescue“) verwenden eine Trillerpfeife. Bei Gefahr ertönen mit dieser dann drei kurze, sich wiederholende Pfiffe5. Es ist zu beobachten, dass vereinzelt Einsatzkräfte in Deutschland ebenfalls auf diese Methode zurückgreifen. In jedem Fall muss das Rückzugssignal eindeutig festgelegt und den eingesetzten Einsatzkräften unmissverständlich mitgeteilt werden. Martinshorn, Fahrzeughupen oder Funkkommunikation als mögliches Rückzugssignal sind daher nicht zu empfehlen. Ein standarisiertes (Sprach)-Kommando ist „Achtung Rückzug“. Alle in der Schadenstelle eingesetzten Einsatzkräfte sollen neben der standardmäßigen persönlichen Schutzausstattung mit Mund- und Augenschutz ausgerüstet werden. Neben der Planung eines Sammelraums sollten alle Einsatzkräfte, die den eigentlichen Gefahrenbereich betreten, analog zu einer Atemschutzüberwachung registriert werden. Im Falle einer Evakuierung kann so zweifelsfrei festgestellt werden, dass alle Einsatzkräfte den Gefahrenbereich verlassen haben.

Frühzeitig sollte eine Strukturierung der Schadensstelle vorgenommen werden: Während einer Übung wurde auch der Sammelraum „Safe Zone“ für eine mögliche Evakuierung der Einsatzkräfte festgelegt. (Foto: eigene Aufnahme)

Auch in der ersten Phase erfolgen bereits erste Ortungsmaßnahmen. Unter Ortung ist hier die Suche bzw. das Lokalisieren von verschütteten Personen zu verstehen. Dabei sind folgende Methoden zu unterscheiden:

  • „Horch-, Ruf-, Klopfmethode“ (durch die Einsatzkräfte)
  • Biologische Ortung (durch den Einsatz von Rettungshunden)
  • Technische Ortung (durch den Einsatz von Horchgeräten oder Suchkameras)

Eine effiziente Ortung ist ein Kernelement für das zielgerichtete Vorgehen bei Gebäudeeinstürzen. Gerade im Bereich der internationalen Rettung aus Trümmern nach Erdbeben hat sich die Ortung als eine Art „Flaschenhals“ für das weitere taktische Vorgehen an einer Schadensstelle herausgestellt. Während der Erkundungsphase gilt hinsichtlich der Ortung auch der allgemeingültige Grundsatz der fünf Phasen „vom Leichten zum Schweren.“ Die Feststellung des möglichen Aufenthaltsortes von Verschütteten erfolgt zu diesem Zeitpunkt durch das Befragen von möglicherweise bereits geretteten Personen oder Augenzeugen. Erkundigungen können aber auch eventuell vorliegende Gebäudepläne oder andere Informationsangebote, wie z.B. die Einwohnermeldeauskunft erfolgen. Die o.g. Ortungsmethoden kommen gezielt erst in den späteren Phasen zum Einsatz. Darüber hinaus sollten während der Erkundungsphase die Randbereiche der Schadensstelle, d.h. der äußere Rand des Trümmerfeldes abgesucht werden. In der Phase I werden keine Zugänge zur Struktur geschaffen und keine technischen Befreiungsmaßnahmen eingeleitet.

Die anschließende Phase II (Durchsuchen und leichte Rettung gem. vfdb oder Absuchen gem. THW) ist insbesondere vom gezielten Absuchen der Randtrümmer gekennzeichnet. Sukzessive ist auch ein Betreten der eigentlichen Trümmerstruktur notwendig: So sollen leicht- und unbeschädigte Gebäudeteile nach eventuell Verschütteten durchsucht werden. Auch können bereits erste Zugänge in die Struktur selbst erfolgen, sofern diese ohne Veränderung der Trümmerlage möglich sind. Ein solcher Zugang ist z.B. über Leitern denkbar. Ein weiterer einsatztaktischer Schwerpunkt sollte auch im Räumen von angrenzenden und gefährdeten Bereichen der Schadenstelle liegen (z.B. Evakuieren von angrenzenden Wohngebäuden). Auch ist die Einsatzstelle räumlich zu strukturieren, indem zwei Bereiche festgelegt werden: Zum einen der Gefahrenbereich, den nur Einsatzkräfte betreten sollen, die unmittelbar an oder in der Schadenstelle arbeiten und zum anderen der Absperrbereich. Hier haben die erforderlichen Einsatz- und Unterstützungskräfte (z.B. Logistik) Zutritt.

Einsatzkräfte des USAR-Light Teams von @fire im Einsatz nach dem Erdbeben in der Türkei im Februar 2023: Während der Erkundung einer Schadensstelle werden auch die Randtrümmerbereiche strukturiert abgesucht (Foto: @fire)

Nach der Richtlinie der vfdb sollen in der Phase II keine Befreiungsmaßnahmen erfolgen. Hinsichtlich des Einsatzes von technischem Gerät ist dies nachvollziehbar. Allerdings erscheint es sinnvoll Befreiungsmaßnahmen, sofern diese händisch möglich sind, durchzuführen.

Zeitgleich wächst die Einsatzstelle während der Phase II weiter auf, sodass auch die Planung des „rückwärtigen“ Bereich zu beachten ist. Neben der Festlegung der Kommunikationswege ist es zu empfehlen je nach Möglichkeit bereits hier die Einsatzabschnitte festzulegen. Die vfdb empfiehlt für die Einsatzmaßnahmen nach Gebäudeeinstürzen eine aufgabenbezogene Abschnittsbildung. Bei der Einsatzleitung sind dazu fachberatende Funktionen wie die Baufachberatung oder Sicherheit einzurichten. Gerade die Baufachberaterin / der Baufachberater sollte bereits mit der ersten Alarmierung mit zur Einsatzstelle ausrücken, um die Einsatzleitung von Beginn an zu beraten.

Zudem ist die Bildung von vier Einsatzabschnitten vorgesehen:

  • Orten und Retten
  • Sichern
  • Rettungsdienst / Sanitätsdienst
  • Bereitstellung / Logistik

Zusätzlich ist es ratsam die Funktion eines oder sogar mehrerer Sicherheitsassistenten (https://www.sicherheitsassistent.info/?page_id=52) einzusetzen. Der „Safety Officer“, der gerade im englischsprachigen Raum häufig anzutreffen ist, findet auch in Deutschland nach und nach Einzug. Aufgabe dieser Funktion ist es die Einsatzleitung in sicherheitsrelevanten Aspekten zu beraten, die Einsatzstelle nach eventuellen sicherheitsgefährdenden Aspekten zu erkunden und die Sicherheit der Einsatzkräfte so insgesamt zu erhöhen.

Neben dem Aufbau der Einsatzstellenstruktur sind auch die Anfahrts- und Abfahrtswege festzulegen, da gerade die gängigen Verkehrswege durch Trümmerteile versperrt sein könnten. Daher hat auch das Festlegen von Bereitstellungsräumen Priorität. Gebäudeeinstürze erfordern oftmals eine Menge an nachzuforderndem Material, wie z.B. Rüstholz zum Abstützen. Daher sind bereits frühzeitig Logistikstrukturen aufzubauen, um ausreichend Material aber auch Personal an die Einsatzstelle heranzuführen. Neben der eigentlichen operativen Tätigkeit ist es bei Einsätzen nach Gebäudeeinstürzen auch essenziell, frühzeitig eine adäquate Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen, um dem gesteigerten Medien- und Presseinteresse gerecht zu werden.

Festzuhalten ist, dass die Übergänge zwischen der Phase I und II fließend sind und im Einsatzgeschehen oftmals nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Gerade zu Beginn ist ein solcher Einsatz von einer erheblichen Chaosphase geprägt. Die Erkundung in einem solchen Einsatz ist nicht allein mit dem Durchlaufen der Phase I abgeschlossen und sollte daher nicht mit der Erkundung nach dem Führungsvorgang nach DV100 verwechselt werden, die fortlaufend stattfindet.

Sebastian Drees ist Mitglied der Internationalen Hilfsorganisation @fire und dort Einsatzkraft im USAR-Einsatzteam. Im Technischen Hilfswerk ist er Angehöriger einer Bergungsgruppe und bildet Einsatzkräfte des THW im Vorgehen nach Gebäudeeinstürzen aus.

Quellennachweis:

Ausschuss für Feuerwehrangelegenheiten (1999): Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 – Führung und Leitung im Einsatz – Führungssystem. https://lernkompass.idf.nrw/goto.php?target=file_793_download&client_id=Feuer

Bundesamt für Zivilschutz (1989): Katastrophenschutz-Dienstvorschrift 200 – Der Bergungszug (Az. KS 7 – 708 – 02/01 Dv 200).

Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (1999): THW DV 1-100 Führung und Einsatz.

Gehbauer, Fritz / Hirschberger, Susanne / Markus, Michael (2001): Methoden der Bergung Verschütteter aus zerstörten Gebäuden -Zivilschutzforschung Band 46. Bonn: Bundesverwaltungsamt – Zentralstelle für Zivilschutz.

International Search and Rescue Advisory Group (2020): INSARAG Guidelines, Volume III: Operational Field Guide. Annex B26: USAR Team Marking System and Signalling.

Titelbild: @fire